Meiches

Der Totenköppel bei Meiches

0b Sie nun zum ersten Mal an diesen schönen Ort gekommen sind, oder ob Sie wiederholt den Weg zum Totenköppel gefunden haben, wir heißen Sie herzlich willkommen, und wollen Sie einladen, hier ein wenig zu verweilen.

Sie befinden sich hier in der Meicheser Totenkirche, die ihre jetzige Gestalt –wie die Jahreszahl auf dem Türsturz verrät  im Jahr 1729 erhalten hat. Damals wurde sie aus den Trümmern einer älteren Kirche, einer Heilig¬kreuz Kirche (nicht St.Georgskirche, wie wir seit 2008 wissen), aufgebaut. Noch heute erkennt man am Bauwerk der Totenkirche Reste des Vorgänger¬baues: das zugemauerte zweiteilige gotische Fenster nach Norden mitsamt einem umgebenden Wandteil bis fast zu dem Fenster hinter der Empore und den gotischen Türbogen in Richtung Westen mit dem Steinmetzzeichen Y. Dasselbe Zeichen erscheint auch an Bauwerken der Kirchenpatrone. Seit mindestens 1559 ist das die Familie der Riedesel Freiherren zu Eisenbach. Eine Urkunde vom 6. Jan. 1384 zeigt aber bereits in Händen der Familie von Eysinbach, den  Vorgängern der Ried-esel, Besitzrechte über die Kirche auf dem „Eytisperge“ an. (Der Buchstabe y ist stumme Dehnung  für anlautendes  E, lies: „Eetisperge“!)

Bei der urkundlichen Erstnennung des Dorfnamens in einem nicht genau datierbaren Güterverzeichnis, aufgestellt vom Archidiakonat des Propstes von St.Johann in Mainz um das Jahr 1340 („nach 1340 und vor 1342“, so die Forschung), erscheint „Zum Eyches“, aus dem über „Zu Meeches“ schließlich „Meiches“ wird. Es hat ganz und gar nichts mit den oft genannten Eichenbäumen zu tun, sondern bewahrt die Erinnerung an den Namengeber des Hausberges: Etich !

Wann eine allererste Kirche den “Edesberg”, den Berg des Eticho, Adalrich oder auch Adalung, den heutigen Totenköppel, krönte, verschweigen die Urkunden. Bald nach dem Jahr 1250 dürfte das uns als Heiligkreuz-Kirche greifbare Gotteshaus erbaut worden sein. Sie war größer und höher als die jetzige Totenkirche, hatte auch Turm und Glocken und diente bis zum Jahre 1627 als Pfarrkirche für Meiches und etliche Dörfer der Umgebung: “Um den Etichesberg”, so nannte jedenfalls der erste bekannt gewordene Pleban Heinrich die Pfarrei im Text seines Siegels (Wachsabdruck von 1383). Ihre überörtliche Funktion hatte die Bergkirche wohl längst verloren, als in Meiches selbst die heutige Dorfkirche entstand.

Am zweiten Pfingstfeiertag  fand und findet heute noch um 13.00 Uhr ein Gottesdienst auf dem Totenköppel im Freien statt, an dem auch viele Besucher aus der näheren Umgebung teilnehmen. Noch vor wenigen Jahren war dies der offizielle Beginn der Pfingstkirmes in Meiches. Seit einigen Jahren versammeln sich Christen auch in der Frühe des Oster¬morgens und am Abend des vierten Adventssonntages zu weiteren Gottes¬diensten in der alten Kirche.

Im Inneren der aus Feldstein erbauten Totenkirche fällt zunächst die Stellung des Altares seitlich der Tür auf. Dieser etwas ungewöhnliche Standort ist mit dem Umbau von 1729 zu erklären, bei dem der an das Kirchenschiff sich öst¬lich anschließende, „eingezogene“ –im Vergleich zum Schiff also schmalere– Rechteckchor abgebrochen und die heutige Ostwand unter Verkürzung des Schiffes, mit dem derzeitigen Eingang versehen, neu errichtet wurde. Der Altar erhielt seinen neuen Platz. Bis in die 1980er Jahre hing über ihm ein derb geschnitztes Kruzifix (Ende 18. Jahrhundert), das leider gestohlen wurde, und seitdem unauffindbar  blieb.

Bei Arbeiten im Zuge der Dorferneuerung im Jahre 2007 führten Beobachtungen und Nachforschungen, die mit Wissen, Zustimmung und unter Leitung der Fachabteilungen des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen erfolgten, zu den Erkenntnissen über Teile des ehemaligen Grundrisses, deren gegenständ¬liche Beweise (Fundamentreste des Chores) zum Teil auf Dauer sichtbar gemacht wurden. Eine ganz besondere Überraschung stellte aber die ent¬deckte Wandmalerei auf dem alten Teil der Nordwand dar. Unter der Schicht eines Lehmputzes hatte das seltene Kulturzeugnis, ein Andachtsbild „Christus als Schmerzensmann“, viele hundert Jahre seit der Entstehungszeit,  zwar beschädigt, aber überdauert.

An den Wänden finden wir zwei Grabmale (Epitaphe) von Pfarrern: das eine von Johann Lorenz Pröscher, gestorben 1750, das andere von Johann Adam Sartorius, gestorben am 20. März 1778. Bei Anbringung des ersteren erlitt die vorbeschriebene Malerei – weil damals unter dem Verputz nicht sichbar – wohl einige Beschädigungen.

In den schmiedeeisernen Kreuzen erkennt der Betrachter Beispiele alter Grabkreuze, die man ehedem überall auf dem hiesigen Friedhof anstelle der heutigen Grabsteine gefunden hat. Im Schnittpunkt dieser Kreuze waren Schilder befestigt, auf denen die Namen und Lebensdaten der Verstorbenen vermerkt waren. Manchmal nahmen flache Blechkästen mit Türchen die Schilder auf und boten so Schutz vor widrigen Wettereinflüssen. In Anspielung auf ihre Form wurden sie im Volksmund „Kaffeeröster“ genannt.

Besonderer Erwähnung bedarf der Taufstein, der noch Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts seinen Standort vor der Kirche neben der Tür hatte. Um ihn nicht vollends der Ver¬witterung preiszugeben, wurde er anlässlich einer Substanzsicherung der gesamten Totenkirche im Inneren aufgestellt. Der Stein, auf dem neben dem Gekreuzigten auch das Bild des Drachentöters St.Georg deutlich zu erken¬nen ist, trägt eine Jahreszahl, die vermutlich das Jahr 1501 bezeichnet. Auf jeden Fall kann heute als gesichert gelten, dass der Taufstein vom Ende des 15. bzw. Anfang des 16. Jahrhunderts stammt. Offenbar eng verbunden mit dem Taufstein der Totenkirche waren in früheren Zeiten die

Wallfahrten zum Totenköppel. Nicht nur in vorreformatorischer Zeit, sondern bis über die Wende in das 20. Jahrhundert hinaus, kamen an bestimmten Heiligentagen Wallfahrer aus dem benachbarten katholischen Herbstein zum Totenköppel. An diese Zeit erinnert noch der alte Opferstock neben der Kir¬chentür, der durch schwere Eisenbänder und Vorhängeschlösser gesichert ist. Immer wieder wurden auch Naturalien als Opfer auf dem Altar niedergelegt, die den Ortsarmen zugute kamen.

Aber nicht nur Katholiken suchten in vergangenen Tagen die Meicheser Totenkirche auf. Ein Eintrag in der hiesigen Pfarrchronik beklagt, dass auch viele  Evangelische dem Totenköppel besondere Verehrung entgegenbringen würden. In einigen Dörfern der Umgebung soll man Menschen mit langwierigen oder ausgefallenen Krankheitserscheinungen geraten haben: „Geh´ nach Meiches und lass´ für dich beten!“ Das Regenwasser, das sich in dem Taufstein sammelte, galt als heilkräftig  gegen Augenleiden und wurde vereinzelt sogar nach Amerika verschickt. Anlässlich einer Kirchenvisitation wurde dieser Aberglaube schwer gerügt. Aber dem Tadel wurde entgegengehalten:  'Da sieht man's ja, Pfarrer und Schullehrer glauben heutzutage gar nichts mehr'. Dafür, dass es mit der Heilkraft des Taufsteinwassers nun schon seit Jahrzehnten vorbei ist, gibt es übrigens auch eine Erklärung: Zigeuner hätten eines Tages Feuer im Taufstein angezündet. Dabei habe der Stein einen Sprung erhalten, den jeder Betrachter wahrnehmen kann, und seitdem sei es vorbei gewesen ...

War Bonifatius auf dem Totenköppel? – Die Sage erzählt es. Auf dem Weg vom Kloster Amöneburg nach Fulda sei Bonifatius hier auf dem Totenköppel gewesen und habe gepredigt ... Nun, mit guten Gründen kann vermutet werden, dass in germanischer Zeit auf dem Totenköppel eine Kultstätte der Chatten war. Dass das Ende des heidnischen Kultes durch die Christianisierung in die Zeit des Bonifatius fällt, ist ebenfalls denkbar, dafür fehlt der Nachweis. Leider. Mit dem jetzt erwiesenen Heiligkreuz-Patrozinium entsteht jedoch zusätzliche Nähe zu dem Apostel der Deutschen: Bekanntlich hat er gerade auch in Hessen mehrere Kirchengründungen unter dessen Schutz gestellt. Aber noch eine andere Tradition verdient Aufmerksamkeit, die Anlage des Friedhofs als Sippenfriedhof. Reihengräber, wie sie normalerweise auf allen Friedhöfen zu finden sind, sucht man hier vergebens. Hier gibt es nur Sippengräber. In Meiches - übrigens als einzigem Ort Deutschlands - ist diese Begräbnistradition, die eine gesamte Dorfgemeinschaft umfasst, erhalten geblieben. Zu jedem Haus unten im  Dorf gehören bestimmte Grabstätten, und wer hier oben begraben wird, der wird in aller Regel in den Gräbern seiner eigenen Vorfahren beigesetzt. Der Ortskundige kann an der Verteilung der „Quartiere“ sogar erkennen, wie die dörfliche Siedlungsentwicklung vorangeschritten ist. Nur ganz am Rand ist seit Jahrhunderten ein wenig Platz für Verstorbene, die kein Anrecht auf Bestattung auf einem Sippenplatz haben. Dort begrub man die Ortsfremden: Handwerksburschen, Lehrer, Zigeuner und Pfarrer.

Die Grabdenkmäler rund um die Totenkirche und an den Außenwänden der Leichenhalle sind noch einmal ein Hinweis dafür, dass die Bevölkerung von Meiches mit ihrem Friedhof eng verbunden ist. Dem kunstgeschichtlich geschulten Beschauer wird nicht entgehen,  dass die Grabdenkmäler bis in das 17. Jahrhundert zurückreichen. Unter ihnen fällt an der Südwand der Totenkirche ein Stein aus der Mitte des 19. Jahrhunderts besonders auf. Hier ist das tragische Ende eines Ortsbürgers bildlich dargestellt. Beim Obstpflücken war er vom Baum gestürzt und hatte sich tödliche Verletzungen zugezogen. Um den Toten herum stehen seine Witwe und die Kinder; die älteste Tochter in der Tracht der Jungfrau, wie sie zu damaliger Zeit im hiesigen Raum üblich war.

Auf die meisten Besucher hat unser Totenköppel eine faszinierende Wirkung. Macht das diese schlichte geschichtsträchtige Friedhofsanlage oben auf dem Berg inmitten der alten Buchen? Macht das die Stille abseits der großen Verkehrswege? Oder macht das die Weite der Landschaft, die sich dem Besucher hier bietet? Der Blick zum Schloß Herzberg und zum Rimberg mit seinem markanten Sendemast im Nordosten? Oder der Blick zur Amöneburg bei Marburg in nordwestlicher Richtung? Oder, wenn man um den Buchenbestand rund um die neue Leichenhalle herumgeht, der Blick über Fulda   bei gutem Wetter!   bis zur Wasserkuppe und zum Großen Inselberg im Thüringer Wald? Hier oben fügt sich alles zu einer großartigen Harmonie: Vergangenheit und Gegenwart; Geschichte und Schöpfung.

Herausgegeben v. Ev. Pfarramt Meiches, 36369 Lautertal (Vogelsberg)
4. Auflage, mit aktuellem Forschungsstand, März 2009
Verantwortlich für den lnhalt: Dieter Borschel und Helmut Volz